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Aufsatz
Sozialarbeit

Universität zu Köln

2013

Eva L. ©

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ID# 43170







Die historische Entwicklung der Viktimologie


Das heute geltende Verständnis von Viktimologie und Viktimisierung und ihr Stellenwert in der Gesellschaft sind historisch gewachsen. Zu einer umfassenden Betrachtung dieser Thematik ist eine Auseinandersetzung mit der historischen Entwicklung dieser Begrifflichkeiten erforderlich. Da die Art und Weise der Wahrnehmung des Opfers maßgeblich für diese Entwicklung ist, ist die Genese des modernen Opferverständnisses dabei von zentraler Bedeutung.

1 Die Rolle des Opfers in historischer Perspektive


Vor der Einführung erster allgemeingültiger Gesetze, die das Miteinander der Bürger verbindlich regelten, gab es lediglich eine Reihe informeller Regelungen, die den Verhaltenskodex definierten und die Reaktion auf ein Tatgeschehen bestimmten. Sühne-, Vergeltungs- und Rachegedanken sowie sozialer Ausgleich und Entschädigungswille waren maßgeblich. Die Maxime „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ galt als handlungsleitend. Das Opfer einer Tat stand im Mittelpunkt des Reaktionsgeschehens. Das Opfer kann auf diese Weise zwar Genugtuung erfahren, Rechtssicherheit ist jedoch nicht gegeben.

Das Vergeltungsrecht sowie die weit verbreitete Blutrache wurden erstmals unter der Herrschaft des babylonischen Königs Hammurabi durch gesetzliche Regelungen, die durch Richter vollzogen wurden, ersetzt. Bei den germanischen Stämmen wurden Buß- und Wehrsysteme zur Regelung der Entschädigung und des Ausgleichs eingesetzt. Die Ausgleichszahlungen richteten sich dabei vorrangig nach der gesellschaftlichen Stellung des Opfers.

Im späten Mittelalter stellten der Sachsenspiegel und die „Constitutio criminalis carolina“ (CCC von 1532) zentrale Rechtsinstitutionen dar. Der Sachsenspiegel strukturierte die bis dahin geltenden (informellen) Regelungen und sah für das Opfer eine Frist zur Einklagung seiner Rechte vor. Das CCC erwähnte als erste systematische kriminologische Überlegung den Notwehrartikel. Die überwiegende Mehrheit der Rechtsverletzungen wurde zu dieser Zeit mit Leibstrafen geahndet. Die Täter hatten jedoch die Möglichkeit, diesen durch die Entrichtung von Ablösesummen zu entgehen. Da diese Gelder jedoch nicht an das Opfer, sondern an die zuständige Gerichtsbarkeit gezahlt wurden, trat die eigentliche Entschädigung des Opfers in den Hintergrund. Stattdessen wurde der Täter immer deutlicher in den Fokus der strafrechtlichen Betrachtung gestellt. Es kann an dieser Stelle also festgehalten werden, dass mit der Herausbildung von Staaten und der Einführung von allgemeingültigen Gesetzen die Macht der Herrschenden immer weiter ausgeweitet wurde, die Bedeutung der Opferperspektive immer stärker abnahm. (vgl. Lebe 2003, S. 9 f.)

Diese Entwicklung mündet in die heutige strafrechtliche Betrachtungsweise, die das Opfer vorrangig als passiv Beteiligten wahrnimmt. Der Großteil der materiellen und prozessualen Normen nimmt das Opfer reflexiv wahr und reduziert die Auseinandersetzung auf Täter und Staat. (vgl. Mayenburg 2009, S. 129) Das Opfer erfährt hauptsächlich hinsichtlich seiner Beteiligung am Tatgeschehen im Strafrecht Berücksichtigung. Beispielhaft sind an dieser Stelle Notwehr, bestimmte minderschwere Fälle von Totschlag, Tötung auf Verlangen und Einwilligung in Körperverletzung oder Entführung zu nennen. Der Viktimologie kommt in diesem Zusammenhang die Analyse und Bewertung des Opferverhaltens und die Ableitung von Konsequenzen für das Tatgeschehen zu. Eine Entschuldigung der Täter oder gar eine Kriminalisierung der Opfer erfolgt nicht. (vgl. Lebe 2003, S. 10)


2 Die historische Entwicklung der Viktimologie


Strafrecht und Kriminologie berücksichtigen die Opferperspektive im Sinne einer Interaktion des Opfers mit dem Täter erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts. Erste Ansätze in Richtung einer systematischen Betrachtung des Opfers gingen vom deutschen Kriminologen Hans von Hentig (1887-1974) aus. Der Fokus lag dabei zunächst auf den jeweiligen Opfergruppen. 1947 befasste sich Benjamin Mendelsohn ebenfalls mit der Viktimologie als Opferwissenschaft. Er berücksichtigte dabei jedoch hauptsächlich rechtliche Aspekte. 1954 wies Henri Ellenberg unter besonderer Berücksichtigung von Täter-Opfer-Beziehungen auf den Aspekt der sozialen Isolation als Risiko für die Opferwerdung hin. Das erste Gesetz zur Opferentschädigung wurde 1963 in Neuseeland erlassen. 13 Jahre später, im Jahr 1976, wurde das Gesetz, nachdem es ebenfalls in England, Teilen der USA, Kanadas und Australiens in Kraft getreten war, auch in Deutschland eingeführt. (vgl. Lebe 2003, S. 10) Zu dieser Entwicklung, die man auch als Wiederentdeckung des Opfers bezeichnen kann, kam es nicht zuletzt durch den Anstieg der Kriminalitätsrate in den USA und Europa in den 60er und 70er Jahren, die zu einem Umdenken in der Verbrechensforschung führte. (vgl. Schwarzenegger 2011) Im Zuge dieses Umdenkprozesses kam es zur Einberufung nationaler und internationaler Expertenkommissionen wie etwa dem International Symposium on Victimology, das 1973 erstmalig stattfand und seitdem alle 3 Jahre ausgerichtet wird. Auch die Gründung der World Society of Victimology im Jahr 1979 in Münster ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen. (vgl. Dussich 2006, p. 116 f.) 1983 erkennt der Ministerrat des Europarates in Straßburg die Europäische Konvention über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten, eine Festschreibung der gültigen Grundsätze für die staatliche Opferentschädigung in den europäischen Staaten, an. Im Zuge der sogenannten Opferbewegung bildeten sich nach und nach auch nichtstaatliche Initiativen und Vereinigungen zur Unterstützung von Kriminalitätsopfern wie etwa Weisser Ring e.V. (vgl. Lebe 2013, S. 10).

In der Gegenwart ist zu beobachten, dass die Viktimologie zunehmend an Einfluss gewinnt und in der Konsequenz das Bewusstsein für die Opfer wächst. Forschungsvorhaben und Opferhilfeeinrichtungen zeigen, dass entsprechende Perspektiven zunehmend theoretisch reflektiert und praktisch einbezogen werden. (vgl. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz 2014)



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